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Audi-Pilot Nico Müller: „Ich fühle mich nicht wie der Gejagte“

Der Schweizer Audi-DTM-Pilot Nico Müller zieht nach zehn von insgesamt 18 Rennen in der Saison 2020 Bilanz. Zudem spricht der 28-Jährige über sein Verhältnis zu seinem Teamkollegen und ersten Verfolger in der Fahrerwertung Robin Frijns und gibt Einblicke in sein Familienleben.

 

Über die Hälfte der Saison 2020 hat der DTM-Tross schon absolviert. Wie fällt dein Zwischenfazit aus?

Natürlich sehr positiv. Vier Siege sind mir und meiner Crew gelungen und es könnten sogar mehr sein. Ich denke, das spricht für sich. Ich bin sehr happy mit der Arbeit, die wir als Team bisher vollbracht haben. Alle sind top motiviert und machen einen ausgezeichneten Job. Und ich fühle mich einfach wohl im Auto und kann abliefern. Von daher war es für mich eine sehr positive erste Hälfte, auf die sich aufbauen lässt.

 

Hat das erste Rennwochenende auf dem Nürburgring bereits ausgereicht, dass du deinen Frieden mit der Rennstrecke schließen konntest?

Ich glaube, es war das stärkste Wochenende meiner DTM-Karriere. Was meine Performance angeht, aber auch die meiner Crew. Wir waren eigentlich in jeder einzelnen Session von Freitag bis Sonntag das schnellste Auto im Feld. Viel besser kann man nicht Frieden schließen. Das Einzige war der Zwischenfall im Rennen am Sonntag mit dem defekten Sensor ab der fünften Runde. Das tut natürlich weh, wenn man so Punkte liegen lassen muss. Aber es gibt schlussendlich viel mehr Positives mitzunehmen von diesem Wochenende, als dass wir dem Sonntag lange hinterhertrauern sollten. Dafür bleibt uns in dieser kompakten Saison auch gar keine Zeit.

 

Wie fühlt es sich an, die Schweizer Fahne im Parc Fermé hochzuhalten?

Es ist ein überragendes Gefühl. Unser kleines Land vertreten zu dürfen auf einer internationalen Plattform wie der DTM ist einfach klasse. Es macht mich auf jeden Fall stolz, einer der Schweizer Rennfahrer zu sein, die unsere Fahne hochhalten – neben großen Namen wie Marcel Fässler, Sébastien Buemi und Neel Jani.

 

Bei acht der bisherigen zehn Rennen hast du auf dem Podium gestanden. Ärgern dich die beiden fünften Plätze dazwischen?

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es nicht so ist. Gerade der fünfte Platz am vergangenen Sonntag war ärgerlich. Einfach weil ich sicher bin, dass wir das Rennen gewonnen hätten. Das Auto fühlte sich von der Balance her optimal abgestimmt an. Doch technische Probleme gehören eben dazu. Am Lausitzring hingegen waren andere schlauer als wir, vor allem die Münchner. Das muss man anerkennen und damit kann ich dann auch leben.

 

Bist du eher jemand, der Vergangenes analysiert oder orientierst du dich mehr an dem, was vor dir liegt?

Ich glaube schon, dass es wichtig ist, zurückzublicken. Um Situationen besser zu durchleuchten und daraus wieder einen Schritt nach vorn zu machen. Man muss aber bedenken, dass wir in dieser Saison kaum noch Zeit zwischen den Rennen haben. Du hast vielleicht noch einen Tag Zeit, um zu reflektieren. Und dann musst du wieder den Schalter umlegen. Ich denke, dass diese Umstellung sehr wichtig ist und dass es im Moment auch eine unserer Stärken ist. Wir erkennen relativ schnell, wo wir noch Potenzial haben und wie wir gleichzeitig unsere Vorteile beibehalten können.

 

An den Samstagen warst du bisher sowohl im Qualifying als auch im Rennen immer unter den Top drei. Wie kommt es, dass ihr gerade an den ersten Renntagen des Wochenendes so erfolgreich seid?

Auch wenn es nur Trainings sind, zeichnet es sich für mich schon freitags ab. Ich glaube, ich war immer mindestens auf Platz zwei im Freien Training und sieben oder acht Mal Schnellster. Es zeigt, dass wir in der Vorbereitung einen guten Job machen. Wir haben immer von der ersten Session an ein Auto gehabt, das gut funktioniert, was uns die Arbeit vor allem am Samstag einfacher macht. Dadurch müssen wir nicht so umfangreiche Setup-Anpassungen oder Fahrstil-Änderungen vornehmen, um das Maximale aus unserem Paket rauszuholen. Das war bisher sicher unsere große Stärke und ich hoffe, dass wir es beibehalten können. Zum Sonntag hin rückt das Feld natürlich näher zusammen. Aber auch da konnten wir uns noch jedes Mal verbessern.

 

 

Dein Teamkollege Robin (Frijns) ist dir in der Meisterschaft dicht auf den Fersen. Wie geht ihr damit um, dass ihr beide Titelkandidaten seid?

Es ist eine lustige Situation. Wir haben wirklich ein sehr gutes Verhältnis. Das ist untypisch. Ich hatte so etwas bisher noch nie in meiner Karriere. Und dann auch noch im gleichen Team. Wir pushen uns gegenseitig extrem. Natürlich wollen wir den jeweils anderen auf der Strecke schlagen, das muss auch so sein. Aber es ist nicht so, dass schlechte Stimmung aufkommt, wenn einer den Kürzeren zieht. Wir haben zwei so starke Crews im Team und wer den besseren Job macht, hat es sich ganz einfach verdient. Das ist aus meiner Sicht eine sehr gesunde Basis. Ich bin überzeugt, dass Robin einer der talentiertesten Rennfahrer auf diesem Planeten ist. Und ich bin jedes Mal stolz, wenn ich ihn schlage. Ich freue mich aber auch für ihn, wenn er ein Rennen gewinnt. Ich glaube, dass im Moment unser gutes Verhältnis im Team zu unserer Stärke beiträgt. Ob einer von uns beim Finale in Hockenheim noch die Chance auf den Titel hat, werden wir sehen. Und dann hoffen wir auf einen heißen Showdown.

 

Wie gehst du damit um, der Gejagte zu sein?

Tatsächlich fühlt es sich für mich nicht so an. Für mich ist René als der amtierende Champion immer noch derjenige, den es zu schlagen gilt. Zusammen mit seinem Team hat er über die letzten drei Jahre hinweg einen so beeindruckenden Job abgeliefert, und er ist auch dieses Jahr wieder ein heißer Anwärter auf den Titel. Auch wenn er im Moment nicht die Meisterschaft anführt. Er ist doch immer oben mit dabei. Wir haben noch vier Wochenenden vor uns. Da kann noch sehr viel passieren.

 

Du hast souverän das Gerücht widerlegt, dass Rennfahrer, die schon Vater geworden sind, langsamer wären. Hat sich dennoch etwas in deinem Job geändert, seitdem ihr zu dritt seid?

Von diesem Mythos habe ich auch schon gehört. Aber ich denke, wir konnten beweisen, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Das vergangene Wochenende war aus meiner Sicht das stärkste, das ich je abgeliefert habe. Und ich glaube eher, dass unser Glück mit Fynn mehr beflügelt als alles andere. Ich habe mich noch nie so geerdet gefühlt, wie ich es aktuell tue. Und ich bin sehr dankbar, dass ich eine so schöne kleine Familie zu Hause habe, die mich bei meiner Leidenschaft perfekt unterstützt. Daher bin ich mir sicher, dass es mich eher besser macht als schlechter.

 

Ist Motorsport bei euch zu Hause angesichts der kurzen Zeit, die du zu Hause verbringst, ein Tabuthema?

Nein, wir sprechen viel darüber. Manchmal zu viel. Ich glaube, das ist auch nötig, um das Geschehene zu verarbeiten. Sei es positiv oder negativ. Ich setze mich oft mit Vicky oder meinen Eltern, die direkt nebenan wohnen, einen oder zwei Tage nach den Rennen abends zusammen. Und dann sprechen wir auch darüber, was passiert ist. Die fiebern alle extrem mit und sind wahrscheinlich nervöser als ich an den Wochenenden.

 

Ihr seid im August auch noch in euer neues Zuhause eingezogen. Habt ihr genügend Platz für Pokale eingeplant?

Der sollte nie ausgehen. Und falls doch, wäre das ein Luxusproblem, um das ich mich gerne kümmere. Es war schon eine intensive Phase. Alles fiel ungefähr in die gleiche Zeit. Hausbau, Umzug, Nachwuchs. Wir hatten aber tolle Unterstützung von unseren Familien, wodurch ich auch den Freiraum hatte, um mich auf meinen Job zu konzentrieren. Das hat super geklappt.

 

Du bist auf Social Media aktiv und zeigst in deinem Driver’s Diary auch private Einblicke. Wie wichtig ist es dir, Kontakt zu den Fans zu halten?

Die sozialen Medien sind ein gutes Tool, um den Fans auch zwischen den Rennen Einblicke zu geben, um sie für unseren Sport zu begeistern und unsere Leidenschaft mit ihnen zu teilen. Da gehört das ein oder andere Private mit dazu. Ich versuche da einen gesunden Mix zu finden und hoffe, dass es die Leute freut, was sie zu sehen bekommen. Und dass damit auch bei ihnen die Vorfreude auf die Rennen steigt.

 

Wie sehen deine nächsten Wochen aus?

Es bleibt sehr intensiv. Diese Woche stehen die nächsten wichtigen DTM-Rennen auf dem Sprintkurs des Nürburgrings auf dem Programm. Und danach bleibe ich wahrscheinlich gleich in der Eifel. Denn dann folgen die 24 Stunden auf der Nordschleife – für mich immer ein großes Highlight im Jahr. Mein Ziel ist, nach unserem Erfolg 2015 noch einmal um den Gesamtsieg mitkämpfen zu können. Und erst danach habe ich mein erstes Wochenende seit dem DTM-Auftakt frei, bevor wir am zweiten Oktober-Wochenende schon wieder in Zolder fahren.

 

Text und Bild: DTM